Antiautoritäre Erziehung: Vorteile & Nachteile

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Die antiautoritäre Erziehung gewinnt immer mehr an Bedeutung, wird jedoch häufig falsch ausgelegt. In der 17. Shell-Studie zeigt sich, dass immer mehr Eltern ihre Kinder so erziehen, dass eine gute Beziehung im Fokus steht.

Was ist antiautoritäre Erziehung?

Bei der antiautoritären Erziehung handelt es sich um den sogenannten permissiven Erziehungsstil. In den Kritiken wird auch von einer laissez-fairen Erziehung gesprochen. Der Hintergrund ist, dass die antiautoritäre Erziehung als sehr nachgiebig angesehen wird.

Eine Definition des Erziehungsstils ist nicht ganz einfach, da hier eher von einer Lebensform als von einer klaren Linie bei der Erziehung gesprochen werden kann. Die ersten Grundlagen wurden bereits zu den Zeiten der Studentenbewegungen in den 1960er und 1970er Jahren.

Die Generation der damaligen Zeit wurde noch mit sehr strengen Erziehungsmethoden erzogen. Zu diesen zählte es, den Kindern Respekt, Gehorsam und Unterordnung zu vermitteln. Die Generation wollte aus diesem Rahmen ausbrechen und es bei den eigenen Kindern anders machen.

Die freie Erziehung entstand. Hier steht die Idee im Fokus, die Kinder als gleichberechtigt anzusehen und deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dabei soll möglichst eine Ja-Umgebung geschaffen werden.

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Was ist eine Ja-Umgebung?

Die antiautoritäre Erziehung setzt auf möglichst wenig Verbote und Einschränkungen bei den Kindern. Eine wichtige Grundlage stellt eine Ja-Umgebung dar. Diese wird schon für die Kleinsten geschaffen.

Dies bedeutet:

  • Die Umgebung wird so vorbereitet, dass möglichst wenig Verbote ausgesprochen werden können.
  • Die Kinder können sich in aller Ruhe ausprobieren und umsehen.
  • Eltern können die Kinder ganz entspannt spielen lassen.

Bereits im eigenen Haushalt werden häufig Verbote ausgesprochen. Dies beginnt schon bei der Steckdose und reicht bis hin zu den Schränken, die nicht geöffnet werden dürfen. Eltern, die gerne ihre Kinder antiautoritär erziehen möchten, sorgen dafür, dass diese Gefahrenquellen nicht mehr vorhanden sind. Steckdosen werden mit einem Schutz versehen und die Schränke so eingeräumt, dass sie auch ausgeräumt werden können.

Das Ziel: Auf diese Weise werden keine Verbote erschaffen, die den Reiz für das Kind noch erhöhen. Eine häufige Kritik ist, dass eine Ja-Umgebung nicht überall geschaffen werden kann.

Wer mit seinen Kindern zu Besuch bei Freunden oder Verwandten ist, könne hier ja nicht auch einfach alles ausprobieren lassen. Tatsächlich zeigt sich, dass Kinder, die sich zu Hause ausprobieren dürfen, ebenfalls ein Verständnis dafür entwickeln, dass dies nicht woanders auch möglich ist.

Eine Definition des Erziehungsstils ist nicht ganz einfach, da hier eher von einer Lebensform als von einer klaren Linie bei der Erziehung gesprochen werden kann.  (Foto: Shutterstock- fizkes)

Eine Definition des Erziehungsstils ist nicht ganz einfach, da hier eher von einer Lebensform als von einer klaren Linie bei der Erziehung gesprochen werden kann. (Foto: Shutterstock- fizkes)

Wo liegen die Vorteile der antiautoritären Erziehung?

Für Eltern ist es natürlich wichtig, in der Erziehung in erster Linie authentisch zu sein und das Wohl des Kindes in den Fokus zu stellen. Die Frage kommt auf, wie dies bei dieser Form gewährleistet werden kann. Tatsächlich bringt die antiautoritäre Erziehung viele Vorteile mit sich:

    1. Freie Entfaltung

    Kinder kommen neugierig und mit dem Drang, Neues zu lernen, auf die Welt. Durch Verbote und Einschränkungen werden sie in ihrer natürlichen Entwicklung beschnitten. Bei der antiautoritären Erziehung ist eine freie Entfaltung möglich. So können Kinder in ihrem eigenen Tempo lernen, wo sich ihre Stärken und Schwächen befinden und entwickeln ein starkes Selbstbewusstsein.

    2. Verantwortung weitergeben

    Häufig wird kritisiert, dass Kinder noch nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, dies bei dieser Form jedoch müssen. Tatsächlich lernen Kinder hier, Verantwortung zu übernehmen. Sie stellen fest, dass ihre Entscheidungen Folgen haben und lernen, diese Folgen anzunehmen und darauf zu reagieren. Hierbei handelt es sich nicht nur um positive, sondern auch um negative Konsequenzen. Dadurch lernen sie, mit Erfolg und auch mit dem Scheitern umzugehen und reifen an ihren Entscheidungen.

    3. Gleichberechtigung

    Die antiautoritäre Erziehung hat die Idee, dass jeder Mensch gleichberechtigt ist. Niemand würde seinem Partner verbieten, das dritte Stück Schokolade zu essen. Warum wird es dann Kindern verboten? Nun kann argumentiert werden, dass Kinder nicht abschätzen können, was dieses dritte Stück nach sich zieht. Machen sie jedoch die Erfahrung nicht, lernen sie es nie. Wenn die Eltern immer einschränken, verbieten und für die Kinder entscheiden, gehen den Kindern wertvolle Erfahrungen verloren. Antiautoritäre Erziehung setzt daher auf Gleichberechtigung.

    Kinder erhalten hier das gleiche Recht wie Erwachsene, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass dies nicht für Entscheidungen gilt, die Sicherheit und Leben beeinträchtigen, wie das Anschnallen im Auto oder bei einer roten Ampel über die Straße zu gehen.

    4. Persönlichkeitsentwicklung

    Jedes Kind ist ein eigenständiges Wesen. Es hat Mut und Kraft, es ist schüchtern und zurückhaltend. Vielleicht beobachtet es gerne, möglicherweise ist es aber auch ein Entdecker. Die antiautoritäre Erziehung möchte genau diese eigene Persönlichkeitsentwicklung in den Vordergrund stellen. Durch die freie Entfaltung zeigen sich die Charaktereigenschaften des Kindes schnell und festigen sich.

    5. Vertrauen und Beziehung

    „Beziehung statt Erziehung“. In Verbindung mit der antiautoritären Erziehung wird dieser Satz oft genannt. Eltern möchten für ihre Kinder ein vertrauensvoller Ansprechpartner sein. Sie möchten das Urvertrauen von Beginn an stärken und deutlich machen, dass sie da sind. Sie begleiten Kinder in ihrer Wut und Trauer. Sie fangen sie nach dem Scheitern auf und sorgen dafür, dass Erfolge hervorgehoben werden.

Hinweis: Die antiautoritäre Erziehung ist auch eine Entwicklung, die Eltern erst einmal durchlaufen müssen. Es ist ein Prozess, der beide Seiten stärkt und sich so auch stärkend auf die Bindung untereinander auswirkt.

Oft wird davon ausgegangen, dass es bei dieser Erziehungsform keine Regeln gibt. ( Foto: Shutterstock- Sergey Novikov )

Oft wird davon ausgegangen, dass es bei dieser Erziehungsform keine Regeln gibt. ( Foto: Shutterstock- Sergey Novikov )

Wo liegen die Nachteile der antiautoritären Erziehung?

Aber gibt es eigentlich auch Nachteile? Natürlich ist es wichtig, hier in einem Vergleich auch mögliche Kritik aufzugreifen und diese zu beleuchten. Nur so können Eltern abschätzen, ob die antiautoritäre Erziehung für sie und ihr Kind einen guten Weg darstellen kann.

    1. Die Angst vor dem Egoismus

    Oft wird davon ausgegangen, dass es bei dieser Erziehungsform keine Regeln gibt. Die Menschen denken, dass Kinder zu Egoisten werden. Dies kann also als ein Nachteil gesehen werden. Auch die Problematik, dass Kinder nicht lernen, sich an Regeln zu halten wird immer wieder aufgegriffen.

    Tatsächlich lernen Kinder jedoch durch die Nachahmung. Sie sehen an ihren Eltern und ihrer Umgebung, wie das Zusammenleben funktioniert. Dadurch können sie Regeln lernen, ohne selbst durch diese eingeschränkt zu werden.

    2. Entscheidungen treffen

    Kinder sind nicht von Beginn an in der Lage, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen abzusehen und können manche Entscheidungen noch nicht treffen. Ein gutes Beispiel ist auch hier noch einmal der Gurt im Auto. Grundsätzlich dürfte das Kind selbst entscheiden, ob es sich anschnallen möchte.

    Da es sich hier jedoch um einen Sicherheitsfaktor handelt, müssen Eltern, die eine antiautoritäre Erziehung verfolgen, jetzt deutlich machen, dass dies ein Muss ist. Je nach Alter wird es schwer, mit klassischen Erklärungen Überzeugungsarbeit zu leisten. Dies kann ein Nachteil sein.

    3. Andere Menschen

    Sobald das Kind in den Kindergarten oder in die Schule kommt, wird es hier auf Menschen treffen, die eine antiautoritäre Erziehung nicht verfolgen. Es muss sich anpassen und das ist nicht immer ganz einfach. Daher ist es wichtig, dass Eltern auch mit Erziehern und Lehrern sprechen und dem Kind vermitteln, dass jeder Mensch anders ist.

Interessant: Die antiautoritäre Erziehung wird oft als ein Erziehungsstil benannt, bei dem nur das eigene Ich im Vordergrund steht. Kinder sind jedoch empathisch. Wer ihnen das Vertrauen entgegenbringt zu erkennen, wie es den Mitmenschen geht, der wird teilweise erstaunt sein, welche Entwicklungen hier möglich sind.

Wie kann diese Form der Erziehung in der heutigen Zeit umgesetzt werden?

Wie bereits kurz angeschnitten, verfolgt die antiautoritäre Erziehung keine starren Linien. Die Lebensform kann an das eigene Leben und an die eigenen Kinder angepasst werden. In der heutigen Zeit ist es keine Seltenheit, dass Eltern verschiedene Stile miteinander vermischen.

Die Grundidee, dass Kinder als Individuen wahrgenommen werden, die eigene Bedürfnisse und Wünsche haben, sollte im Vordergrund stehen. Kinder sollten die Möglichkeit haben, die Bedürfnisse klar zu äußern und diese auch erfüllt zu bekommen. Hier ist auch die bedürfnisorientierte Erziehung ein wichtiges Thema.

Flexibilität ist auch für Eltern ein wichtiges Thema. Nur, weil sich von Beginn an für eine antiautoritäre Erziehung entschieden wurde, muss diese nicht starr durchgeführt werden. Hier ist ein gutes Beispiel die Selbstregulation.

Die Selbstregulation wird beispielsweise bei Süßigkeiten eingesetzt. Das Kind darf so viele Süßwaren essen, wie es möchte und wann es möchte. Durch die Erfahrung, dass zu viele Süßigkeiten zu Bauchweh führen können, soll eine Regulierung eintreten.

Stellen Eltern fest, dass dies bei ihrem Kind nicht funktioniert, können sie hier auch eingreifen. Eine Alternative wäre es, dem Kind eine gewisse Menge Süßigkeiten täglich zur Verfügung zu stellen und zu sagen, dass es selbst entscheiden kann, wann es diese isst.

Kompromisse sind in der Erziehung eine wichtige Thematik. Eltern erleichtern sich auch das Leben, wenn sie auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kinder hören und bereit sind, nicht nur die eigenen Regeln durchzusetzen. Oft zeigt sich, dass Kinder sehr kompromissbereit sind.

Wie bereits kurz angeschnitten, verfolgt die antiautoritäre Erziehung keine starren Linien. Die Lebensform kann an das eigene Leben und an die eigenen Kinder angepasst werden. ( Foto: Shutterstock-  FamVeld )

Wie bereits kurz angeschnitten, verfolgt die antiautoritäre Erziehung keine starren Linien. Die Lebensform kann an das eigene Leben und an die eigenen Kinder angepasst werden. ( Foto: Shutterstock- FamVeld )

Vertrauen ist die wichtigste Basis

Kinder kommen nicht auf die Welt, um ihre Eltern zu ärgern. Werden sie geboren, haben sie das Bedürfnis nach Schutz, Wärme und Nähe. Sie brauchen Liebe und Nahrung, Schlaf und Pflege. Eltern kommen diesen Wünschen ganz selbstverständlich nach – bis zu einem bestimmten Alter. Dann kommen die Gedanken auf, dass das Kind nun lernen muss, sich richtig zu verhalten.

Mit Vertrauen in den natürlichen Instinkt des Kindes und dem Wissen, dass hinter keinem Verhalten böse Absichten stecken, kann die antiautoritäre Erziehung als eine sehr spannende Form gesehen werden, ein gemeinsames Miteinander zu schaffen.

Fazit: Die antiautoritäre Erziehung ist eine spannende Variante

Bereits dieser kleine Abriss zeigt, wie vielseitig die antiautoritäre Erziehung tatsächlich ist und dass sie auch viel Potenzial zu bieten hat, um darüber zu diskutieren. Nicht umsonst steht sie immer wieder in der Kritik. Dabei wird jedoch von einer sehr starren Form ausgegangen.

Diese Form der Erziehung kann jedoch auch als eine Chance gesehen werden. Kinder und Eltern profitieren gleichermaßen davon, wenn es zu einer vertrauensvollen Basis kommt, bei der die Kinder wissen, dass sie als ein Individuum gesehen und auch ernst genommen werden.

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